Das neue „Kinderschutzgesetz“ der Regierung Orbán: Wie Ungarn Kinder und Jugendliche instrumentalisiert und die Gleichheit aller Menschen ignoriert

25.06.2021 | Blog

Regenbogenflagge

Spätestens seit der Diskussion, um die Bestrahlung des Münchner Stadions in Regenbogenfarben während des EM-Spiels zwischen Deutschland und Ungarn, weiß ganz Europa: Die Regierung um Victor Orbán verabschiedete ein neues Gesetz und es richtet sich gegen die Repräsentanz von Menschen aus der LGBTQI+ Community.  


Was beinhaltet dieses Gesetz und warum ist es so problematisch? 

Geplant war dieses Gesetz ursprünglich als eine Strafverschärfung für pädophile Taten. Es sollte eine Reaktion auf einen Fall in der ungarischen Politik darstellen, der für viel Ärger in der Bevölkerung gesorgt hatte. Ende 2020 begann die ungarische Regierungspartei dann allerdings, den Begriff der Homosexualität und der Pädophilie nahezu gleichzusetzen und Homosexuelle in der Öffentlichkeit als ebenso pädophil darzustellen. Das geplante Gesetz wurde überarbeitet und ist nun so schwammig formuliert, dass es ausreichen könnte, um jegliche Anzeichen von Lebenswirklichkeiten der LGBTQ-Community aus der Öffentlichkeit zu verbannen. 

Konkret bedeutet das: Aufklärungs- und Informationsrechte in Bezug auf Homosexualität werden massiv eingeschränkt. Insbesondere Schulen sollen in dieser Hinsicht keine Sexualaufklärung mehr leisten. Des Weiteren verbietet es die Darstellung von Homosexualität als Normalität oder die Diskussion über Geschlechtsumwandlungen in Formaten, die Kindern und Jugendlichen zugänglich sind. Jegliche Art der Sexualität, welche von der heterosexuellen Norm abweicht, soll damit in Büchern, Filmen, Serien usw. verboten werden. Das Gleiche gilt für Werbung. Expert*innen warnen: Alleine das Zeigen der Regenbogenfahne könnte bei weiter Auslegung des Gesetzes eine Straftat darstellen. 

Warum und wie beeinflusst dieses Gesetz die Rechte von Kindern und Jugendlichen? 

Getarnt als Gesetz zum Schutz für Kinder und Jugendliche, diskriminiert und ignoriert die ungarische Regierung Millionen von Menschen und ihre Lebensrealitäten, die in keinem Fall auch nur im Geringsten etwas mit Pädophilie gemein haben. Gleichzeitig wird dieses Narrativ genutzt, um die Rechte der Kinder und Jugendlichen einzuschränken. Nach Art.17 der UN-Kinderrechtskonvention, die Ungarn auch ratifiziert hat, haben Kinder ein Recht auf Zugang zu Informationen. Dieser Zugang wird ihnen mit diesem Gesetz gezielt verweigert. 

Darüber hinaus verstößt das Gesetz deutlich gegen Prinzipien, denen sich Ungarn beim Beitritt in die Europäische Union verpflichtet hat: Dazu gehören unter anderem der Pluralismus, die Gleichheit aller Bürger*innen und die Würde des Individuums. 

Was sind die Gründe für dieses Gesetz? 

Es wird spekuliert, dass die ungarische Regierungspartei Fidesz dieses nutzen will, um neue Wählergruppen zu erschließen und alte zurückzugewinnen. Da wegen der massiven Abschottung Europas die Flüchtlingspolitik momentan an Bedeutung verliert, fehlte der Partei ein medientaugliches Thema zur weiteren Mobilisierung der Bevölkerung. Darüber hinaus wird eine Annäherung an Russland vermutet – dort gilt seit einigen Jahren ein ähnliches Gesetz. 

Was bedeutet das jetzt? 

Egal, aus welchen Gründen und mit welchen Bemühungen Ungarns Regierung versucht, dieses Gesetz zu rechtfertigen: Es ist LGBTQI+ feindlich, verletzt grundlegende Rechte und beweist erneut, wie sehr sich das Land von den Werten der Europäischen Union mittlerweile entfernt hat. Weiter muss sich die EU wohl eingestehen, dass Solidaritätsbekundungen mit der LGBTQI+ Community und die Bestrahlung von Stadien und Denkmälern alleine nicht ausreichen wird, um Änderungen zu bewirken. Ungarn tritt im eigenen Land seit Jahren die Rechtsstaatlichkeit, die Pressefreiheit und die Freiheit der Wissenschaft mit Füßen und verachtet dabei europäische und letztendlich demokratische Werte. Die Instrumentalisierung von Kindern und Jugendlichen, die Beschneidung von Grundrechten und die Diskriminierung der LGBTQI+ Community ist schockierend, aber – im größeren Kontext der Entwicklung betrachtet – keine Überraschung, da Ungarns Regierung bis heute keine massiven Konsequenzen durch die EU fürchten musste. Ob sich das nun ändert, wird sich zeigen…